Einleitung
 

Wie das Theorie-Problem (hoffentlich) gelöst werden kann

Die oben getroffene Gliederung des Methodenspektrums in körperbezogene, verhaltensbezogene, kommunikationsbezogene Beschreibungen des Sehens ist im Grunde ja nichts anderes als ein etwas anschaulicherer Ausdruck für die (im deutschen Sprachraum oft gebrauchte) Unterscheidung von Forschungsdisziplinen in Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften (bzw. Kulturwissenschaften) – also eine dreistufige Auffächerung wissenschaftlicher Grundansätze zwischen den begrifflichen Polen Natur und Kultur.

Für die Suche nach einer übergreifenden Theorie ergibt sich daraus die schlichte Frage: Worin könnte eine systematische Beziehung dieser drei Hauptmethoden bestehen?

Sich „das Sehen“, „das Sichtbare“ als ein übergreifendes Ganzes vorzustellen, erscheint nun spontan – schon anhand der Alltagsanschauung – noch nicht weiter schwierig. Denn man kann sich die Menge visueller Phänomene leicht als ein Spektrum denken, das vom kleinsten bis zum größten reicht, vom einfachsten bis zum komplexesten Anblick. Und dieses visuelle Spektrum „von einfach nach komplex“ scheint auch irgendwie dem Methoden-Spektrum zwischen den beiden Polen eher „naturbedingter“ und eher „kulturbedingter“ Phänomene zu entsprechen:

Schließlich sind die kleinsten, einfachsten, grundlegendsten Phänomene des Visuellen – Farbtöne, Formtypen und ihre Bewegungsarten – vor allem in den Naturwissenschaften und der Mathematik untersucht und in der Methode der Physik und Physiologie systematisch erfasst worden. Und sind demgegenüber die größten, vielschichtigsten, komplexesten Sichtbarkeiten – Phänomene der visuellen Kommunikation wie zB. Darstellungen, Stile, Inhalte, Fälschungen, positive wie negative Idealisierungen – vor allem in den Kulturwissenschaften begrifflich erfasst worden – in der philosophischen Ästhetik, der Kunstgeschichte und verschiedenen Sozialwissenschaften.

Einfachste visuelle Phänomene sind Gegenstand vor allem der Naturwissenschaften (wie Physik, Physiologie, und auch Geometrie)

Komplexe visuelle Phänomene sind Gegenstand vor allem der Kulturwissenschaften (wie Kunst- und Sozialwissenschaft, und auch Philosophie)

Man kann also anhand der beiden Pole Natur und Kultur spontan eine einfache Vorstellung von spektraler Ganzheit des Themas Sehen entwickeln. Unklar aber ist bei näherer Betrachtung, wie ein bruchloser, kontinuierlicher Übergang zwischen diesen Polen aussehen könnte. Wie also können die veschiedenen Beschreibungsansätze miteinander vergleichbar gemacht, miteinander systematisert werden?