Der allgemeinste Nutzen visueller Theorie lässt sich natürlich schlicht darin sehen, dass sie Menschen im Erleben von Sichtbarkeiten – hoffentlich – inspirieren kann. Günstigenfalls kann sie neue Möglichkeiten zeigen, wie Sehen sich verstehen lässt; welche Aspekte des Wahrnehmens, Empfindens und Denkens dieser Begriff involviert; sowie eigenes und fremdes Sehen und verschiedene Sichtweisen vielfältiger zu reflektieren. Dass angesichts der vielen sichtgestützten Kommunikations-, Unterhaltungs-, Steuerungs- und Überwachungsmedien, die sich in mittlerweile sämtlichen Lebensbereichen zunehmend ausbreiten, der individuelle wie der gesellschaftliche Bedarf an einem möglichst differenzierten Verständnis visueller Phänomene wächst und weiter wachsen wird, muss dabei nicht näher begründet werden.
Über diesen themen- und kontextbedingt selbstverständlichen Nutzen hinaus aber lässt sich ein besonderes Potential beschreiben, das visuelle Theorie von anderen Ansätzen der Erkenntnisreflexion unterscheidet.
In den Feldern, die sich klassischerweise mit Fragen der Wahrnehmung, des Denkens und Kommunizierens befassen – wie Philosophie, Linguistik, Erkenntnis- und Kommunikationstheorie – beziehen sich in aller Regel Worte auf Worte. Das Schriftbild ihrer oft unvermeidlich langen Texte bietet kaum eine Möglichkeit, auf den ersten Blick Beschreibung und Beschriebenes, Metasprache und Objektsprache auseinanderzuhalten – was es nicht gerade erleichtert, einen Einstieg in solche Texte zu finden, Orientierung in ihnen zu behalten und Inhalte zu erinnern. Eine Theorie des Sehens hat demgegenüber – sofern sie konsequent bebildert ist – naturgemäß den Vorteil, übersichtlicher zu sein. Insbesondere für Menschen – gleich welchen Alters –, die mit reflexiven und systematischen Texten umzugehen erst anfangen, kann eine Theorie des Sehens leichtere Wege auch in andere Felder der Reflexion ebnen. Visuelle Theorie eröffnet also neue und eigene Möglichkeiten, Zugänge zu Fragen der Philosophie und Erkenntnistheorie zu finden – aus dem einfachen Grund, dass ihre Fragestellungen besonders anschauliche Antworten bedingen.