Als ich Anfang der 90er Jahre beschloss, meine Interessen an visualistischer Theorie in ein ernsthafteres Projekt umzusetzen, fühlte sich dieses Vorhaben nicht wie ein Ersatz für künstlerische Praxis an, sondern wie deren konsequente Weiterentwicklung. Visuelle Phänomene in ein möglichst systematisches Verhältnis zu beschreibendem Text zu bringen, erschien mir als ein plausibler, ja logisch notwendiger Ansatz zeitgemäßer künstlerischer Bildproduktion. Eine solche Entscheidung zur Theorie als Praxis würde dem entsprechen, was im allgemeinen Kunstprozess ohnehin seit langem angelegt war. Denn aus meiner Sicht ließ die damalige kunstgeschichtliche Gegenwart sich ungefähr so beschreiben:
Seit dem Beginn der Moderne hatten sich in der westlichen Kunst die traditionellen Konventionen systematischer Darstellungsmethoden – Konsistenz in Perspektive, Licht, Anatomie, Stilistik – und der entsprechenden medialen Handwerksverfahren mehr und mehr aufgelöst. In dem Maße, in dem asystematische Stile und Techniken bildwürdig wurden, war Kunst erklärungsbedürftig und diskursiv geworden. Spätestens mit Dada, der Kunstrichtung, die die Reflexion des Begriffes Kunst zu einem zentralen Teil ihrer Inhalte gemacht hatte, waren die bildenden Künste an einem Punkt angelangt, an dem sie in mindestens ebenso starkem Maße auf textliche Ausdrucksmittel angewiesen waren wie auf visuelle. Der Begleittext der Kunst – in Fachliteratur, Kritik, Katalogen, Vorträgen, in den Wissenschaften – war seit jener Zeit zu einem immer wichtigeren und immer präsenteren Stützpfeiler geworden und Kunst zunehmend zur Illustration ihrer Begleittexte – eine Funktion, in der sie andersartige kulturelle und gesellschaftspolitische Wirkungen entfaltete als zuvor.
Dieser Prozess dauerte mittlerweile allerdings seit einem guten Jahrhundert an und warf aus meiner Sicht daher längst zwei Fragen auf: Was passiert, wenn auf der non-verbalen Seite der Bild-Text-Allianz kaum noch deutliche, bedeutungstragende Unterschiede herstellbar waren? Und zweitens: Welchen ethischen, sozialen Sinn hat dieser Prozess eigentlich überhaupt? Wenn nämlich der wesentliche Sinn visuell gestalteter Werke darin liegen sollte, bestimmte Qualitätsgrade diskursiver Gedanken zu ermöglichen oder sogar ganz konkrete sprachbasierte Gedankengänge zu transportieren, dann erschien es mir künstlerisch folgerichtiger zu sein, gleich echte Theorie zu betreiben. Wenn der große gesellschaftliche Aufwand, der die Sphäre der bildenden Künste ermöglichte, seinen Sinn darin haben sollte, der Öffentlichkeit Versuchsanordnungen bereitzustellen, mithilfe derer Menschen das Zusammenspiel aus Naturbedingungen und Kulturbedingungen von Wahrnehmung und Kommunikation begreifen und diskutieren konnten – und auf diese Legitimation liefen die allermeisten Begleittexte der Kunst letztlich hinaus – dann war Theoriebildung zur objektiv anstehenden Aufgabe im öffentlichen Umgang mit Bildern geworden. So jedenfalls legte ich es mir damals zurecht. Natürlich war alles, wie immer, auch eine Sache der Neigungen.